Pinsel, Farben, Knete – ADHS mit Kunsttherapie kreativ begegnen
- Julia Löwe
- 15. März
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 18. März

Die Kinder mit einer ADHS-Diagnose stehen oftmals vor besonderen Herausforderungen: Sie sind häufig impulsiv, haben nicht selten Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, und viele fühlen sich in einem schulischen oder sozialen Umfeld schnell überfordert. Dies kann sich sowohl auf ihre Lernfähigkeit als auch auf ihre Beziehungen zu anderen auswirken. Kunsttherapie bietet eine wertvolle Unterstützung, diesen Kindern zu helfen, ihre Emotionen auszudrücken, sich besser zu fokussieren und innere Ruhe zu finden. Dabei spielen verschiedene kreative Materialien eine zentrale Rolle, die gezielt eingesetzt werden, um die individuellen Bedürfnisse der Kinder zu fördern.
Hier möchte ich eine kleine Auswahl von ihnen vorstellen:
Die Kraft der Farben: Malen mit Wasserfarben
Wasserfarben ermöglichen es Kindern, sich ohne festen Rahmen auszudrücken. Die sanften, fließenden Farben haben eine beruhigende Wirkung und helfen ihnen, sich für eine gewisse Zeit auf eine Aufgabe zu konzentrieren. Während sie mit Pinsel oder Schwamm arbeiten, lernen sie, Bewegungen zu kontrollieren und sich auf den kreativen Prozess einzulassen. Dies stärkt die Aufmerksamkeit und gleichzeitig die Kreativität.
Vorteile für Schule und Alltag: Kinder, die durch das Malen lernen, sich über einen längeren Zeitraum auf eine Aufgabe zu fokussieren, profitieren davon auch in der Schule. Sie entwickeln die Fähigkeit, sich mit einer Aufgabe geduldig auseinanderzusetzen und weniger schnell frustriert aufzugeben. Auch im Familienalltag kann sich das positiv auswirken, da die Kinder gelassener auf Herausforderungen reagieren.
Formen und Kneten: Arbeiten mit Ton und Knete
Kinder mit ADHS haben oft einen hohen Bewegungsdrang. Formbare Materialien wie Knete oder Ton geben ihnen eine sinnliche und zugleich strukturierende Beschäftigung. Das Kneten wirkt beruhigend und hilft, überschüssige Energie abzubauen. Gleichzeitig stärkt es die Feinmotorik und verbessert die Konzentration, da die Kinder sich mit ihren Händen intensiv mit dem Material auseinandersetzen.
Vorteile für Schule und Alltag: Die verbesserte Feinmotorik kann sich positiv auf das Schreiben und den Umgang mit Stiften auswirken, was vielen Kindern mit ADHS schwerfällt. Zudem fördert das bewusste Arbeiten mit formbaren Materialien die Selbstkontrolle, was zu mehr Geduld und einem besseren Umgang mit Frustrationen führt.
Struktur und Ordnung durch Collagen
Beim Gestalten von Collagen schneiden Kinder Bilder aus, kombinieren sie neu und kleben sie auf. Diese Technik unterstützt sie dabei, ihre Gedanken zu ordnen und sich bewusst mit dem Aufbau einer Komposition zu beschäftigen. Sie müssen überlegen, welche Elemente zusammenpassen, treffen bewusste Entscheidungen und arbeiten in kleinen Schritten. Das stärkt die Fokussierung und verringert Impulsivität.
Vorteile für Schule und Alltag: Diese kreative Herangehensweise kann Kindern helfen, auch in anderen Bereichen strukturierter zu denken und ihre Aufgaben in der Schule geordneter zu erledigen. Sie lernen, Dinge in sinnvolle Abschnitte zu unterteilen, ihre Gedanken zu sortieren und sich schrittweise an Herausforderungen heranzutasten. Das sind wertvolle Erfahrungen, die Auswirkungen zum Beispiel auf das Erledigen von Hausaufgaben und das Konzentrieren auf schulische Projekte haben können.
Kunsttherapie als Ausdrucksmöglichkeit
Viele Kinder mit ADHS haben Schwierigkeiten, ihre Gefühle in Worte zu fassen. Kunsttherapie bietet ihnen eine Möglichkeit, sich nonverbal auszudrücken. Ob durch Farben, das Kneten von Formen oder das Zusammenfügen verschiedener Materialien, oder in der Natur mit Landsart: die Kinder erleben, dass sie ihre Emotionen kreativ verarbeiten können. Dies stärkt nicht nur ihr Selbstbewusstsein, sondern gibt ihnen auch ein Gefühl der Kontrolle über ihre Umwelt.
Vorteile für Schule und Alltag: Wenn Kinder lernen, ihre Emotionen auf kreative Weise zu verarbeiten, kann das auch ihr Verhalten im Alltag positiv beeinflussen. Sie haben die Erfahrung gemacht, sich wieder selbst zu regulieren und Konflikte ruhiger anzugehen. Dies kann zur Folge haben, dass der Umgang mit Lehrkräften und Mitschülern erleichtert wird, merkbar oft auch im Familienleben.
Kunsttherapie im geschützten Rahmen der Familie
Über eine gemeinsame kunsttherapeutische Tätigkeit mit Familienmitgliedern wird in vielen Fällen die Kommunikation verbessert. Kinder und Eltern erleben eine neue Art der Interaktion, bei der sie sich auf kreative Weise begegnen, ohne sofort auf Worte angewiesen zu sein. Der geschützte Rahmen der Kunsttherapie ermöglicht es allen Beteiligten, sich offen auszudrücken und auch besser aufeinander einzugehen. Dies stärkt das gegenseitige Verständnis und kann so Spannungen im Familienalltag abbauen. Besonders für Kinder mit ADHS, die oft mit Kritik oder Missverständnissen konfrontiert sind, ist diese Form der Kommunikation eine wertvolle Erfahrung.
Schwächen in Stärken verwandeln: Die Ressourcen der Kinder nutzen
Kinder mit ADHS haben oft Eigenschaften, die in einem konventionellen Umfeld als Herausforderung wahrgenommen werden, doch in der Kunsttherapie können genau diese Eigenschaften zu wertvollen Stärken werden. Ein Kind, das sehr impulsiv ist, kann in der freien Gestaltung mit Farben und Formen entdecken, dass seine Spontanität eine kreative Superkraft ist. Hyperaktive Kinder, die im Äußeren oder aber auch in ihren Gedanken ständig in Bewegung sind, können in der Arbeit mit Knete oder Ton lernen, ihre Energie gezielt einzusetzen, um beeindruckende Kunstwerke zu erschaffen, was wiederum den Selbstwert stärkt. Das Bedürfnis nach ständiger Abwechslung kann bei der Arbeit mit Collagen oder Mixed-Media-Techniken genutzt werden, um durch schnelle Materialwechsel kreative Vielseitigkeit zu entwickeln und diese Eigenschaft als einen Vorteil zu erkennen. Vorteile für Schule und Alltag: Indem Kinder lernen, ihre natürlichen Impulse in die kreativen Bahnen lenken, entwickeln sie nicht nur neue Ausdrucksmöglichkeiten, sondern auch Selbstvertrauen. Die Erfahrung, dass ihre vermeintlichen Schwächen in der richtigen Umgebung zu besonderen Stärken werden können, stärkt ihr Selbstwertgefühl. Dies kann ihnen helfen, auch in anderen Bereichen des Lebens eine positivere Selbstwahrnehmung zu entwickeln, sei das in der Schule, in sozialen Situationen oder im familiären Umfeld.
Kunsttherapie geht dabei weit über das normale Basteln zu Hause hinaus, da sie in einem geschützten, professionellen Rahmen stattfindet, der speziell darauf ausgerichtet ist, den Teilnehmenden zu helfen, ihre emotionalen und psychischen Herausforderungen zu bewältigen. In der Kunsttherapie wird gezielt die Kraft kreativer Prozesse genutzt, um tiefere emotionale Ebenen zu erreichen und schwierige Gefühle zu verarbeiten. Sie ist die Therapieform, in der Kinder ihre Gedanken und Emotionen ohne Worte ausdrücken können. Oft sind es genau diese unbewussten, schwer fassbaren Gefühle, die durch das Malen, Formen oder andere kreative Techniken sichtbar gemacht werden.
Ein Beispiel: Ein Kind mit ADHS, das oft mit Konzentrationsschwierigkeiten und Impulsivität zu kämpfen hat, kann in der Kunsttherapie durch den kreativen Prozess lernen, seine Aufmerksamkeit auf ein einziges Projekt zu lenken und in einem sicheren Rahmen auszuprobieren, wie es seine Energie konstruktiv einsetzen kann. Die Therapeut*in beobachtet und unterstützt den kreativen Prozess und hilft dabei, die Bedeutung hinter den Ausdrucksformen zu entschlüsseln. Es wird Raum geschaffen, um zu reflektieren, was das Kind fühlt und erlebt, ohne dass es sich gezwungen fühlt, sofort Antworten oder Lösungen zu finden.
Kunsttherapeut*innen begleiten die Kinder durch diesen Prozess und bieten nicht nur kreative Anleitung, sondern auch emotionalen Halt. Sie schaffen von Beginn an ein sicheres Umfeld, in dem das Kind keine Angst haben muss, Fehler zu machen oder von beurteilt zu werden. Durch diese geschützte Atmosphäre erfahren die Kinder, wie es sich anfühlt wenn sie sich selbst besser verstehen und ihre inneren Konflikte auf eine Weise ausdrücken, die für sie oft weniger schwierig, diffus oder auch bedrohlich ist als das gesprochene Wort.
Die Bedeutung kleiner Fortschritte
Dabei ist es wichtig zu betonen, dass in der Kunsttherapie kleine Schritte zählen. Es geht nicht darum, sofort eine vollständige Lösung zu finden oder alle Probleme auf einmal zu überwinden. Vielmehr liegt der Fokus darauf, den Kindern zu helfen, nach und nach ein besseres Verständnis für ihre Gefühle zu entwickeln und ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Jeder kleine Schritt, sei es das Schaffen eines Bildes, das Teilen eines Gefühls oder das Erkennen eines inneren Konflikts, trägt dazu bei, das Vertrauen des Kindes in seine eigene Ausdruckskraft und in die Welt um es herum zu fördern. Kinder mit ADHS brauchen Zeit, um neue Fähigkeiten zu entwickeln und ihre Selbstregulation zu verbessern, und Kunsttherapie hat die Kraft, sie in dieser Entwicklung zu unterstützen. Die positiven Effekte zeigen sich nicht nur während der Therapie, sondern auch im schulischen Alltag und in der Familie. Indem sie lernen, sich besser zu konzentrieren, strukturierter zu arbeiten und ihre Emotionen bewusster wahrzunehmen, gewinnen sie wertvolle Fähigkeiten für ihr ganzes Leben.
Comments