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Wenn die Psyche im Nebel liegt: Über innere Orientierung und die Kraft der Heilung

  • Autorenbild: Julia Löwe
    Julia Löwe
  • 19. Jan.
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 24. Jan.


Nebel über einem Wald
Nebel über einem Wald

Seit Tagen liegt eine sanfte Nebelschicht über der Elbmarsch. Uetersen und Tornesch und Elmshorn scheinen in ihm zu verschwinden, die Konturen verschwimmen, Wege scheinen plötzlich zu enden, und die klare Sicht ist wie ausgelöscht. Es fühlt sich an, als ob die Welt stillsteht, und das Finden eines sicheren Pfades wird zur Herausforderung. Diese Atmosphäre erinnert mich an die Zustände, die viele Menschen erleben, wenn sie psychisch belastet sind.

Der Nebel steht sinnbildlich für die Momente, in denen Gedanken und Gefühle unübersichtlich werden. Entscheidungen wirken schwer, und manchmal scheint jeder Schritt im Leben unsicher. Für Menschen mit Depressionen, Ängsten, Traumata, ADHS oder dem fetalen Alkoholsyndrom (FASD) ist dieser innere Nebel kein seltenes Phänomen. Es ist ein Zustand, der das Leben erschwert, aber nicht bestimmt.


Depressionen: Der schwere Nebel, der die Sonne verdeckt

Bei einer Depression fühlt es sich oft an, als würde ein dichter Nebel die Welt einhüllen. Die Freude an Dingen, die einst bedeutungsvoll waren, scheint verloren. Selbst alltägliche Aufgaben wie das Aufstehen, Zähneputzen oder das Zubereiten einer Mahlzeit werden zu scheinbar unüberwindbaren Hürden. Die Energie ist wie ausgelöscht, und die Perspektive für die Zukunft wird trübe. Doch es ist wichtig, daran zu erinnern: Dieser Nebel ist nicht die Realität, sondern eine Wahrnehmungsveränderung. Hinter den Wolken scheint die Sonne weiterhin – auch wenn sie momentan verborgen ist. Kleine Schritte, wie regelmäßige Bewegung, eine feste Tagesstruktur oder bewusstes Atmen, können helfen, wieder einen Funken Licht in den Alltag zu bringen. Der Nebel der Depression lässt oft die Farben des Lebens verblassen. Im Kunsttherapeutischen Ansatz kann das bewusste Arbeiten mit Farben und Formen helfen, die Welt wieder klarer und lebendiger wahrzunehmen, indem man die eigene innere Sonne auf das Papier bringt.


Ängste: Die innere Stimme, die uns zurückhält

Ängste flüstern häufig Sätze wie: „Was, wenn es schiefgeht? Was, wenn ich mich verirre?“ Dieser innere Dialog kann lähmend wirken. Entscheidungen werden aufgeschoben, und die Welt scheint plötzlich voller Gefahren, selbst wenn keine unmittelbare Bedrohung besteht. Ängste können sich körperlich ausdrücken, durch Herzklopfen, Schwitzen oder das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Der Nebel der Angst lässt den Weg unsicher erscheinen, aber häufig reicht ein kleiner Schritt, um die Richtung wieder zu erkennen. Dabei hilft es, die Angst nicht zu bekämpfen, sondern sie wahrzunehmen und sanft zu hinterfragen: „Ist das, was ich gerade befürchte, wirklich wahr?“ Unterstützend wirken Techniken wie Achtsamkeit, Atemübungen oder das Aufschreiben von Sorgen, um einen klareren Blick auf die Situation zu gewinnen. Der Nebel der Angst kann verwirrend und beängstigend sein, als würde jeder Schritt ins Unbekannte führen. Durch das Zeichnen sicherer Räume oder das schrittweise Gestalten eines klaren Weges auf Papier kann die Kunsttherapie helfen, Orientierung und Sicherheit zu visualisieren und wiederzufinden.


Trauma: Der Nebel als Schutzmechanismus

Ein Trauma hinterlässt oft Spuren, die sich wie ein dichter Nebel um den Alltag legen. Diese Schichten können verwirrend wirken – als ob Teile der Vergangenheit immer wieder in die Gegenwart drängen. Dabei ist der Nebel oft eine Schutzreaktion des Körpers und der Psyche, die uns vor einer Überforderung bewahren soll. Das Problem ist, dass dieser Schutzmechanismus auch den Zugang zu positiven Gefühlen und Erlebnissen erschweren kann. Der Heilungsprozess beginnt, wenn wir diesen Nebel behutsam betrachten, uns mit kleinen Schritten den schmerzhaften Erinnerungen nähern und lernen, die Kontrolle zurückzugewinnen. Professionelle Begleitung, sei es durch Gesprächstherapie, EMDR oder kreative Ansätze wie Kunsttherapie, kann helfen, den Nebel zu lichten und wieder mehr Stabilität im Alltag zu finden. Der Nebel, der ein Trauma verdeckt, dient oft als Schutz vor schmerzhaften Erinnerungen. Die Kunsttherapie bietet einen sicheren Rahmen, um diesen Nebel vorsichtig zu durchdringen, beispielsweise durch das Malen der Ressourcen die jeder Mensch hat, oder eines „sicheren Hafens“ oder das Symbolisieren von Licht, das langsam den Weg zurück in die Klarheit zeigt.


ADHS und FASD: Der ständige Kampf gegen das innere Chaos

Für Menschen mit ADHS oder dem fetalen Alkoholsyndrom (FASD) fühlt sich der Nebel oft nicht nur als emotionaler Zustand an, sondern auch als ständiger Begleiter im Denken und Handeln. Pläne verschwimmen, Aufgaben wirken überwältigend, und die Struktur des Tages entgleitet schnell. Bei ADHS zeigt sich der Nebel in Form von Konzentrationsschwierigkeiten, impulsiven Handlungen oder einer gefühlten inneren Unruhe. Menschen mit FASD kämpfen zusätzlich mit kognitiven Herausforderungen, die durch die frühkindliche Schädigungen des Alkoholkonsums der Mutter,

in der Schwangerschaft entstanden sind. Ich finde, es ist ganz entscheidend, sich selbst nicht zu verurteilen, sondern zu akzeptieren, dass der Nebel Teil der eigenen Wahrnehmung ist. Strategien wie visuelle Planungen, regelmäßige Pausen und feste Routinen können helfen, Struktur und Orientierung zu schaffen. Unterstützung durch Coaching, Ergotherapie oder spezielle Förderprogramme bietet zusätzliche Hilfestellung, um trotz der Herausforderungen Struktur und Klarheit zu finden. Der Nebel des Chaos, den ADHS und natürlich auch FASD oft mit sich bringt, kann durch kreative, kunsttherapeutische Prozesse in eine strukturierte Form gegossen werden. Beim Kneten von Ton oder Malen in klaren Mustern wird die Energie in den Nebel gelenkt und hilft, Klarheit und Fokus zu schaffen.


Psychotherapie ist wie ein Kompass im Nebel

In den Momenten der Orientierungslosigkeit kann Psychotherapie also ein ganz starkes Werkzeug und ein sicherer Hafen sein.

Sie bietet den Raum, den Nebel anzunehmen und die darin liegenden Herausforderungen zu erkennen und schließlich auch zu verstehen. Eine psychotherapeutische Begleitung hilft nicht nur, die Ursachen zu erkennen, sondern auch, Wege aus der Unsicherheit zu finden.

Ob durch Gespräche, kreative Ansätze oder das Erlernen neuer Bewältigungsstrategien: Psychotherapie schafft die Möglichkeit, den Blick zu klären und wieder Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu gewinnen. Dabei geht es nicht darum, den Nebel zu leugnen, sondern ihn bewusst wahrzunehmen und zu durchdringen.


In nahezu allen psychischen Belastungen finden wir die beiden psychischen Phänomene, Derealisation und Depersonalisation. Sie fühlen sich oft an, als würde ein dichter Nebel zwischen uns und der Welt liegen. Bei der Derealisation wirkt die Umgebung fremd, unwirklich oder wie durch eine Glasscheibe betrachtet – als sei man von der Realität abgetrennt.

Bei der Depersonalisation hingegen fühlt man sich von sich selbst losgelöst, als würde man das eigene Leben aus der Perspektive eines Außenstehenden beobachten.


Derealisation und Depersonalisation sind psychische Phänomene, die oft im Zusammenhang mit Stress, Angst oder Traumata auftreten, als ob die Psyche einen Schutzmechanismus aktiviert, um emotionalen Schmerz zu dämpfen. Beide Phänomene können vorübergehend oder wiederkehrend auftreten und sind häufig Ausdruck einer Überforderung des Nervensystems. Sie können bei verschiedenen psychischen Erkrankungen bzw. Belastungen vorkommen, unter anderem bei

Angststörungen, insbesondere Panikstörung, bei der Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), bei den dissoziativen Störungen, bei Depressionen oder auch bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung.

Aber auch bei chronischem Stress oder Substanzmissbrauch können diese Symptome auftreten. Ähnlich wie echter Nebel die klare Sicht und Orientierung erschwert, verwischen diese Phänomene die Grenzen zwischen Innen- und Außenwelt. Auch Kinder berichten oftmals davon so einen Zustand erlebt zu haben.


Wichtig ist, zu wissen, dass Derealisation und Depersonalisation nicht gefährlich sind, auch wenn sie sich beunruhigend anfühlen. Sie gehen meist von selbst vorüber und wenn das nicht der Fall ist lassen sie sich durch therapeutische Unterstützung und gezielte Techniken gut behandeln. Beide Zustände können beängstigend sein, besonders wenn sie plötzlich auftreten. Atemübungen, sanfte Bewegung oder das bewusste Wahrnehmen der Umgebung – etwa durch das Spüren des Bodens unter den Füßen – können helfen, sich wieder zu erden. Wenn diese Zustände häufig auftreten, ist psychotherapeutische Unterstützung sinnvoll, um die zugrunde liegenden Auslöser besser zu verstehen und langfristige Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Der Nebel mag beängstigend sein, doch mit Geduld und Achtsamkeit lässt er sich durchdringen.


Ich finde es gibt viel Hoffnung, mitten im Nebel

Was mich am Nebel fasziniert, ist, dass er sich nie dauerhaft hält. Manchmal braucht es Geduld, manchmal Unterstützung, z.B. durch den Sonnenschein – aber irgendwann hebt er sich, und die Landschaft wird wieder sichtbar. Meiner Erfahrung nach gilt auch für psychische Belastungen.

Selbst wenn die Orientierung verloren scheint, bedeutet das nicht, dass alles stillsteht. Jeder kleine Schritt, jedes bewusste Wahrnehmen und Annehmen des Moments ist ein Fortschritt. Und auch im dichtesten Nebel bist du nicht allein.

 
 
 

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